Deutschland, deine Untoten
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, etwas zum Thema Leidenschaft zu schreiben. Ja, ein wahrlich altes Thema, dass wir nur noch mit Spanien, Fußballclubs und Aktien in Verbindung bringen. Leidenschaft. Weißt Du, wann Du dieses Wort zuletzt benutzt hast? Kennen wir das noch? Können wir Leidenschaft definieren? Natürlich, wenn Du an deine Familie denkst - für deine Kinder würdest du alles tun! Oder beim Sommerfest von deinen Fußballverein hast Du am Grillstand ausgeholfen. Du putzt mit Leidenschaft dein neues E-Auto - hat ja auch 50000 Euro gekostet!
Viele verbinden Leidenschaft sicherlich mit einer Aktion, mit einer vielleicht gemeinnützigen Aktion, mit einer Aktion, die mit einiger Selbstaufgabe gemacht wird. Mit dieser Definition bewegen wir uns in der Definition von Wikipedia. Gib mal auf Wikipedia das Wort Leidenschaft in der Suche ein und schau Dir mal den Artikel an.
Irgendwas zwischen Liebe und Hass, religiösen, moralischen oder politischen Enthusiasmus, die intensive Verfolgung von Zielen - hört sich super an. Hört sich aber auch so an, als könne es keine Leidenschaft für das Leben geben. Da kommt man dann auf die Platonischen Kardinaltugenden, in denen die Mäßigung festgeschrieben ist.
Ich merke selbst, wie schwierig es ist, in diesen Keller abzusteigen, den Verlies der Leidenschaft zu finden, zu befreien.... Es scheint fast unfassbar, als würde man über etwas schreiben wollen, für das es keine Wörter gibt. Jemand sagte nach dem deutschen Faschismus: "Nach Auschwitz sind keine Gedichte mehr möglich."
Fakt ist, wenn ich mir manche Menschen anschaue, sehe ich sie als die, von denen ich nie einer werden wollte. Sehe ich Menschen wie Untote, die sich vielleicht noch über eine neue Bestellung von Amazon begeistern können - aber denen das Leben anderer Menschen egal ist. Tote Menschen, die sich aufregen, wenn man sie tot nennt. Menschen, die während des Lebens in den Tod übergehen. Unübersehbar.
Manchmal denke ich, ich müsste jemanden an den Schultern packen und ihn einfach richtig durchschütteln, damit er wieder anspringt, lebt. Aber wir wissen wohl, dass es so nicht geht. Er fühlt sich ja nicht tot.
Stell Dich mal in einen Kaufhaus neben die Rolltreppe. Sieh dir die Menschen an, die hinunter oder hinauf fahren, die Gesichter der Untoten. Und dann mache Dir klar, dass Du langsam in diese Sog hineingezogen wirst, Du gehst zur Rolltreppe, da lachst Du vielleicht noch über die Untoten, dann legst Du ein anderes Gesicht auf und am Ende der Rolltreppe bist auch Du ein Untoter geworden. Natürlich nur vermutlich.
In diesen Sinne, kann ich verstehen, wenn junge Menschen in den Nahen Osten gehen und sich einer Miliz anschließen. Politischer Irrsinn - menschlich, versuchend, dem Tod zu entgehen. Ein Widerspruch? Und dann kommen die Experten und fachsimpeln rum, warum das so ist. Die Untoten. Die während des Lebens tot gehen.
Wo sollte sich denn ein "leidenschaftlicher Mensch" heute in Deutschland hinbewegen? Der seine Leidenschaft für das Leben - mal so ganz global-galaktisch - ausleben wollte, damit Leben wollte, mit Leben leben wollte, vielleicht sogar mit anderen Menschen?
Klar, die rationalen Realisten von uns würden sagen, er soll sich in einen Verein anmelden oder sich ein Tier anschaffen, Aktien kaufen, ein Hobby finden, mehr für seine Familie machen.... Ist das alles? Dadurch gebiert die Leidenschaft? Müssten dann nicht alle Menschen vor Leidenschaft brennen?
Ich glaube immer mehr, dass dieses Leben es nicht wert ist, gelebt zu werden. Ich kann meine Zeit vielleicht anders verbringen. Als Untoter auf der Rolltreppe.
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